Regenzauber by Obert Michael

Autor:Obert, Michael [Obert, Michael]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783492956321
Herausgeber: Piper
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00

Die Hitze ließ gerade etwas nach, als es steuerbord zu einem Tumult kam. Ich lief hinüber und hörte den Franzosen schon, bevor ich um die Ecke bog.

»Schweinerei!«, brüllte er. »Ich kann es nicht glauben! Er hat an meine Kabinentür gepisst!«

Rex stand mit geducktem Kopf vor ihm, seine Schulterblatthöcker ragten spitz auf, die Nackenhaare waren aufgestellt. Er knurrte und jaulte eigenartig.

»Nehmen Sie Ihren Köter zurück!«, tobte der Franzose.

»Entschuldigen Sie«, sagte ich und holte Rex zu mir.

»Afrikanische Dreckstöle!«, zischte er, verschwand in seiner Kabine und schlug die Tür zu.

»Das nächste Mal bellst du den bösen Onkel kräftig an«, sagte ich und tätschelte Rex’ Kopf. »Das wirkt überzeugender.«

»Er kann nicht bellen«, sagte Alidji, der die Szene aus sicherer Entfernung beobachtet hatte.

Ich sah ihn ungläubig an, doch ich hatte Rex tatsächlich noch nie bellen hören.

»Er hat es nicht gelernt«, erklärte Alidji. »Er ist ein afrikanischer Hund. Er ist nie zivilisiert worden.«

Ich hängte meine Angelleine ins Wasser, fing aber nichts, und als die Mittagshitze etwas nachließ, stieg ich mit Alidji auf das Unterdeck hinunter. Hier schien sich niemand daran zu stören, dass wir seit zwei Tagen festsaßen. Niemand sah auf die Uhr. In den Kabinen blubberten Soßen auf kleinen Holzkohleöfen. Die Männer spielten noch immer Karten, ein Radio krächzte, nackte Kinder sprangen ins Wasser, kreischten vor Vergnügen und zogen sich an einem Tau wieder an Bord, während die Löscharbeiten hin und wieder unterbrochen wurden, ein Beben durch das Schiff ging und achtern die Schrauben donnerten. Mittlerweile waren die Bananen der Händlerinnen schwarz, die Mangos und Orangen schwer angeschlagen. Die süßliche Wolke, in welche die reifen Guaven das Schiff anfangs gehüllt hatten, war dem beißenden Gestank von Fäulnis und Kot gewichen. Kuhreiher flogen an, wohl im Glauben, bei der Tombouctou handle es sich um eine Rinderherde, doch dann sahen sie, dass es lediglich eine schwimmende Latrine war, und zogen benommen wieder ab.

»Früher war das Schiff wundervoll«, sagte Alidji und rümpfte die Nase. »Und jetzt? Heruntergekommen! Abgewirtschaftet! Schmutzig! Die Leute dritter Klasse machen überall hin, nur damit sie nicht auf diese Toiletten müssen.«

Gegen Abend tauchte am Ufer ein Hirte mit seiner Herde auf, und gleich darauf wuchs eine singende und klatschende Menschenmenge aus der Dornensavanne, Pirogen nahmen die Reisenden der unteren Decks auf und setzten sie auf eine Sandbank über. Andere schossen wie Harpunenspitzen mit Tauen zum Ufer hinüber. Die Enden wurden zu Schlingen gebunden und den Rindern um die Hälse gelegt. Die Männer nahmen die restlichen auf. Dann betätigte der Kapitän das Dampfsignal, die Taue spannten sich, die Schiffsschrauben wühlten den Flussschlamm auf, und ein leises Knirschen war zu hören. Es klang wie Sand zwischen den Zähnen. Ich hielt den Atem an. Das Schiff bewegte sich, senkte sich kaum merklich, kippte nach backbord, schaukelte unentschlossen und drehte sich dann erleichtert um die eigene Achse. Die Leute am Ufer ließen die Taue fallen, umarmten sich und jubelten.

Die Tombouctou war wieder frei.

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